Gedanken von Karin Todeschini
Sanft strahlt die Sonne heute (17. November) vom Himmel. Nicht aggressiv wie im Sommer, sondern mit der milden, schmeichelnden Wärme, die man so schätzt in dieser Jahreszeit. Mein Körper beginnt sich langsam einzurenken. Die Schultern sind wieder beweglicher, der Nacken lässt schon eine zaghafte Drehung des Kopfes zu, die Finger schmerzen nur mehr so wie sonst üblicherweise auch; der Normalzustand ist fast wieder erreicht.
Der Regen der letzten Woche ist nur mehr in der Erzählung wirklich, das Bächlein, das mir in den Ärmel rinnt während ich so sanft wie möglich die Oliven vom Baum streiche, ist versiegt. Da war am ersten Tag, wie immer, das Gefühl der Ohnmacht angesichts der Anzahl an Bäumen, so viele sind es, wie sollen wir diesen Olivendschungel bewältigen?
Aber dieses Jahr ist alles anders. Ein Teppich verfaulter Oliven bedeckt den Boden, manche Bäume haben nicht eine einzige Olive an den Ästen. Die Blüte war so reichlich – was ist nur geschehen? Wir breiten also die Netze aus, –„pull, pull” lautet der Befehl und so zerren wir an den beiden Enden, legen die Netze ordnungsgemäß an den Baum, „nageln” sie zusammen, packen die Leitern – ganz groß für den Padrone, etwas niedriger für den Gesellen (Kurt in diesem Fall) und ziemlich klein für mich, die ich die weibliche Hauptrolle (diesmal in Abwesenheit anderer Frauen) im Olivendrama spiele. Es regnet. Auf die Leiter, fertig, los … Die Plastikkämme kämmen, die Hände streifendie Oliven von den Ästen, besonders hartnäckige Oliven werden mit dem Stock zu Fall gebracht. Die ganz Schlauen unter ihnen verharren still hinter einem Blatt versteckt. Entdeckt man sie doch und greift zum Stock, wehren sie sich erst und fliegen dann meist in hohem Bogen vom Baum, über das Netz hinaus, in die Freiheit! Und wenn sie trotz alledem unentdeckt bleiben, so findet sie das prüfende Auge des Padrone bei der abschließenden Kontrolle und sie werden zu den anderen in das Netz verbannt.
Ab und zu erklingt zaghaft die zarte Olivenmelodie, wenn die geernteten Früchte auf ihrem Weg zum Boden die Leiter streifen… Ein Scherz hie und da, ein Ruf von Baum zu Baum, jeder arbeitet still vor sich hin, wir bedienen die romantische Vorstellung von den fröhlich singenden Erntehelfern nicht. Die Regentropfen, das Blätterrauschen machen taub und hemmen den Enthusiasmus. Die Kirchturmuhr schlägt jede halbe Stunde unerbittlich – schlägt einerseits Hoffnung auf die mittägliche Pause, erinnert andererseits daran, wie wenig Früchte am Boden liegen… schnell, schnell, die Zeit drängt, der Regen wird stärker. Ich klettere in die Krone des Baumes; vor nicht allzu vielen Jahren gelang mir das noch ohne Zuhilfenahme der Leiter, in diesem Jahr bin ich schon wesentlich demütiger, die Kräfte lassen nach. Ich fühle mich frei da oben, genieße den Ausblick trotz der Nässe, bin mir aber der Gefahr bewusst, die von den schlüpfrigen Ästen ausgeht. Die Vernunft sollte eigentlich siegen, aber hier oben ist alles leicht, sanft wiege ich mich in den Ästen! Nun ist es an der Zeit, die Oliven einzusammeln. Ein kleines Bächlein an Früchten rinnt in die Mitte des Netzes, wo sonst ein rauschender Bach an bunten Oliven zu einem großen See zusammen läuft. Diesmal rauscht nur der Regen.
Die Prozedur des Netzeauflegens wird wiederholt, wieder wird genagelt und die Ernte beginnt von vorne. Dann ist es schon Mittag, dann früher Nachmittag, wir wollen die Stunden des Tageslichts nützen und arbeiten weiter bis wir die Oliven nicht mehr von den Blättern unterscheiden können. Schluss.
Eine warme Dusche, Claudio macht ein fulminantes Feuer im Kamin, wir sind stolz auf das Tagesergebnis, wenn es im Vergleich zu den Jahren der Vergangenheit auch recht mager ist. Aber morgen ist wieder ein Tag, es wird wieder regnen … Ein Glas Rotwein tröstet schon heute. Und dann gute Nacht. Morgen … same time, same station, um ein Viertel nach sieben treffen wir einander wieder zum Frühstück, immer wieder – bis Kurt am Samstag abreist und nur noch Claudio und ich zwei weitere Tage gegen die Elemente ankämpfen … Donner und Blitz, sintflutartige Regengüsse und der Mut der Verzweiflung sind unsere Begleiter.
Acht Tage Ernte schließen wir am Montag bei strömendem Regen ab. Wir haben weniger als die Hälfte eines „normalen” Jahres geerntet, gearbeitet haben wir um kein bisschen weniger! Freuen wir uns auf nächstes Jahr?