Deutsch als Fremdsprache

 

Deutsch ist die Unterrichtssprache an allen Wiener Pflichtschulen. Jedes Kind, das diese durchlaufen möchte, muss die dazu erforderlichen Deutschkenntnisse erwerben. Es ist daher sehr wichtig, den Kindern, deren Primärsprache nicht mit der Unterrichtssprache ident ist, beim Erwerb derselben zu helfen.

Da Kinder mit anderen Erstsprachen im Privatleben kaum Chancen haben, richtiges Deutsch zu erlernen, ist es Aufgabe der Schule, ihnen diese Kenntnisse zu vermitteln. Für diese Kinder ist Deutsch eine Fremdsprache. Es muss daher auch wie jede andere Fremdsprache mit der geeigneten Methodik und Didaktik vermittelt werden.

Leider ist diese Tatsache noch nicht wirklich im Bewusstsein aller LehrerInnen verankert. Auch nach 30 Jahren Praxis im Umgang mit „Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache“ wird nach wie vor monolingual unterrichtet. Das bedeutet, es wird einfach so gearbeitet, als gäbe es in der Klasse nur deutschsprachige Kinder. Man überlässt es weitgehend dem Zufall, wieviel jedes einzelne Kind von diesem Sprachbad aufnimmt. 

Ist nach einiger Zeit kein Lernzuwachs zu erkennen, wird sehr rasch der „Sonderpädagogische Förderbedarf“ für Deutsch festgestellt, damit man „aus dem Schneider“ ist. Vielfach verlässt man sich darauf, dass Kinder, die bereits in Wien geboren wurden, genügend Vorkenntnisse mitbringen, um dem Unterricht zumindest in großen Zügen folgen zu können, und oft und gerne lässt man sich von den geringfügigen Kenntnissen der Kinder auf kommunikativer Ebene täuschen, und setzt deshalb mehr voraus, als tatsächlich vorhanden ist.

Gerade bei Kindern, die einfache Aufforderungen und Anweisungen verstehen, und sich auch schon ein wenig artikulieren können, ist die Gefahr, dass ihre tatsächliche Sprachkompetenz überschätzt wird, besonders groß.

Wir alle haben wohl schon die Erfahrung gemacht, wie anstrengend es sein kann, einem Vortrag in einer Fremdsprache zu folgen, auch wenn man diese Sprache einigermaßen beherrscht. Sechsjährige Schulanfänger mit anderen Erstsprachen haben nur in wenigen Ausnahmefällen genügend Sprachkompetenz in Deutsch, um dem Gesamtunterricht folgen zu können. Sie sind dennoch gezwungen, den ganzem Vormittag zuzuhören, ohne allzuviel zu verstehen.

Dieses „Sprachbad“ ist oft die einzige Form der Sprachvermittlung. Wohl werden den Kindern möglichst viele Begriffe bildlich vermittelt, mit Hilfe von Anschauung oder Pantomime. Dennoch bleibt es vielfach dem Zufall überlassen, ob und wieviel ein Kind versteht, und wieviel es behält. Aufbauender Sprachunterricht, der wirklich an der Basis beginnt, der Wortschatz, Grammatik und Syntax wirklich von Null an aufbaut, findet in der Regel nicht statt. Gerade das aber wäre notwendig.

Viele Kinder bringen bereits Kenntnisse in Deutsch mit. Wenn man sich diese Kenntnisse aber näher ansieht, merkt man, wie unvollständig, wie willkürlich und wie lückenhaft sie sind. Deutschkenntnisse erwerben die Kinder teils im Kindergarten, teils durch gelegentliche Kontakte mit anderen, deutschsprachigen Kindern, und sehr oft durch gut gemeinten „Sprachunterricht“ durch Eltern oder ältere Geschwister, die aber selbst nur selten fehlerfrei sprechen können, und daher den Kindern eher schaden als nützen.

Zumeist beschränken sich diese Kenntnisse auf die banalsten Bedürfnisse, und beinhalten hauptsächlich einzelne Wörter, aber kaum richtige Satzstrukturen oder richtige grammatikalische Formen.

  • Wie soll nun aber ein aufbauender Sprachunterricht aussehen ?

  • Wie können wir es schaffen, guten Deutschunterricht für unsere deutschsprachigen SchülerInnen zu machen, und gleichzeitig aufbauenden Fremdsprachenunterricht Deutsch für anderssprachige 

  • Was sind die Kriterien für Deutsch als Fremdsprache und was ist dabei besonders zu beachten ?

Einer der wichtigsten pädagogischen Grundsätze lautet :
„Wir müssen jedes Kind dort abholen, wo es steht“ .

Und ein anderer Grundsatz besagt, dass man prinzipiell nichts voraussetzen darf.

Daher ist es notwendig, zunächst einmal die Ausgangsbasis festzustellen: 
Wieviel kann jedes Kind , wie ist sein aktiver, wie sein passiver Sprachstand ? 
Wie groß ist der Wortschatz ?
Welche grammatikalischen Formen können gebildet und verstanden werden , wo sind die Defizite ?
Wie genau ist das Hörverständnis ?
Wie sieht es mit der aktiven Sprechkompetenz aus ?

Auf diesen Kenntnissen wird dann aufgebaut, hier muss der Fremdsprachenunterricht ansetzen.
Deutsch ist als Fremdsprache nicht einfach zu erlernen. ,
Es hat komplizierte Strukturen, eine nur schwer zu durchschauende, sehr vielfältige Grammatik, unzählige Ausnahmeregelungen und eine besonders schwierige Rechtschreibung. 
Dessen muss man sich als DeutschlehrerIn stets bewusst sein, wenn man seine eigene Sprache als Fremdsprache weitergeben soll.

Die Schwierigkeiten der eigenen Sprache zu erkennen, und diese einem Lernenden verständlich zu vermitteln, ist nicht einfach. Wir alle haben in unserer Ausbildung keinen eigenen Lehrgang zum „Fremdsprachenlehrer für Deutsch“ absolviert, obwohl das eine dringende Notwendigkeit wäre. Es ist ein großer Unterschied, ob man Deutsch als Unterrichtssprache verwendet und Kindern die eigene Muttersprache bewusstmachen und diese aufbauen und erweitern soll, oder ob man dieselbe Sprache jemandem neu beibringen und deren Strukturen begreiflich machen soll.

Insbesondere der Unterricht für Anfänger bedarf genauester Überlegungen, er muss sehr exakt geplant , im Aufbau durchdacht, in kleine Schritte zerlegt und methodisch passend vorbereitet sein. 

  • Ist der Wortschatz sehr rudimentär, dann muss er langsam und in überschaubaren Einheiten aufgebaut werden. 

  • Können die Kinder nur Infinitivformen bilden oder sind noch sehr unsicher bei der Verwendung von Personalformen, dann müssen diese genau und einzeln erarbeitet, und immer wieder wiederholt werden.

  • Artikel gibt es in vielen anderen Sprachen gar nicht, oder nur in ganz anderer Form als im Deutschen. 

  • Die Arbeit mit den Artikeln, und der richtige Gebrauch von Fällen , Endungen, Präpositionen muss klar strukturiert erarbeitet werden. So können wir erreichen, dass die Kinder rasch zu möglichst fehlerfreiem Sprachgebrauch kommen.

  • Nicht das ständige Ausbessern des Sprechenden, sondern das Vorgeben richtiger Strukturen ist die beste Hilfe für die Lernenden.

In den ersten Wochen, in der Schuleinstiegsphase, wird die Beobachtung und die Feststellung der vorhandenen Kenntnisse im Vordergrund stehen, und die ersten Worte, die wir den Kindern vermitteln müssen, sind rein auf der kommunikativen Ebene: Einander begrüßen, sich vorstellen, Wünsche und Bedürfnisse ausdrücken, sowie der „Schulwortschatz“ , die Namen der Gegenstände, mit denen wir arbeiten.

Es ist ungemein hilfreich und sinnvoll, vom ersten Tag an zu jedem Nomen auch gleich den dazugehörigen Artikel anzubieten, und diese immer dazu sagen zu lassen. 
Die Arbeit mit den „Artikelfarben“ (der = blau, die = rot, das = grün, Plural – die = gelb), hat sich im DaF – Unterricht sehr bewährt, weil sie den Kindern im „Artikeldschungel“ Halt und Sicherheit bieten.

Große Plakate aus blauem, rotem und grünem Naturpapier an der Wand, an denen die Bilder der gelernten Nomen aufgeklebt werden, helfen den Kindern, sich die Artikel leichter zu merken.

Später kann anhand dieser Plakate auch der Gebrauch der Fälle geübt werden.
Ein Beispiel dazu: Wir üben den Gebrauch des 4. Falles mit der Übung „Bitte, gib mir den Bleistift, die Schere und das Buch“ : Wenn wir dabei erklären, dass die Wörter vom blauen Plakat „den“ bekommen, die roten „die“ , die grünen „das“ so ist das eine sehr gute, anschauliche, und auch für sechsjährige logische Hilfe zur richtigen Bildung der Fälle.

Da es keine für Kinder verständliche Erklärung gibt, welche Wörter welche Artikel haben, können wir nur durch ständige, intensive Übungen und Wiederholungen erreichen, dass die Kinder die richtigen Artikel zu den Nomen lernen.

Ebenso wird bei den Grundformen der Konjugation vorgegangen. Wir bieten optische Signale, um gleich bleibende Formen – z.B. Personalendungen, zu verdeutlichen.
Für das Erlernen von dialogischem Sprechen kann für bestimmte Inhalte eine Handbewegung oder eine Geste verwendet werden, die als Merkhilfe dient. 
Wichtig sind auch Übungen zur richtigen Aussprache, besonders dort, wo Kinder spezielle Schwierigkeiten haben. (Z.B. ü und ö für Kinder mit slawischen Muttersprachen, Konsonantenhäufungen für türkische Kinder, r für Chinesen....) 

Musikalische Elemente bieten da besonders geeignete Übungsmöglichkeiten.
Die Lehrersprache sollte in den ersten Schulwochen besonders sorgfältig gewählt werden. Sie sollte wenige, dafür aber immer gleich bleibende Formulierungen enthalten, um die Kinder nicht durch ständige Veränderungen zu verunsichern.
Zu viele sprachliche Variationen oder dialektgefärbtes und zu schnelles Sprechen erschweren das Hörverständnis der Anfänger enorm.. 
Nur wenn die Aufforderungen und Arbeitsanweisungen jeden Tag gleich strukturiert sind, können sich die Kinder rasch daran gewöhnen.
Jede Woche gibt es einen eng begrenzten Grundwortschatz, der extra erarbeitet, geübt und auch abgefragt wird. 

Darüber hinaus werden viele Sprachspiele mit festen Strukturen gemacht, um bestimmte Formulierungen einzuüben. Analogiebildung beim Satzbau ist eine große Hilfe.
Während man im Deutschunterricht für einsprachig deutsche Kinder eher Sprachliche Vielfalt anbietet, um Wortschatz und Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitern, bedeutet das für Kinder im ersten Lernjahr DaF eine unnötige Erschwernis. Hier ist es angezeigt, streng zu differenzieren.

Wichtig ist auch, immer wieder den Bezug zur Muttersprache des Kindes herzustellen.
Aufgrund der Unterschiede in den Strukturen der verschiedenen Sprachen, haben Kinder auch unterschiedliche Zugänge zu Deutsch und unterschiedlich große Schwierigkeiten.
Es ist sinnvoll, sich zumindest einige Kenntnisse über die Muttersprachen der Kinder in der Klasse anzueignen, um spezielle Probleme beim Deutschlernen erkennen und darauf eingehen zu können.
Es hat einen bestimmten Grund, warum gerade türkische Kinder Präpositionen so schwer erlernen, oder warum Kinder mit Serbisch/Kroatisch als Muttersprache immer die Artikel weglassen, warum manche Kinder einzelne Laute besonders schwer aussprechen, und oft nicht einmal heraushören können.
Weiß man über die Zusammenhänge zwischen den Fehlern der Lernenden und deren Primärsprachen Bescheid, kann man viel effektiver arbeiten.

Allgemein ist es wichtig, beim Fremdsprachenunterricht immer davon auszugehen, dass der Stoff für die Kinder wirklich NEU ist, und dass wir ihnen die Sprache nicht, wie deutschsprachigen Kindern, nur bewusst machen, sondern sie ihnen erst beibringen müssen !
Oft hört man Klagen, dass Kinder Dinge immer wieder vergessen („...das haben wir schon so oft geübt, und er/sie kann es noch immer nicht !“ ). Zumeist liegt das daran, dass hier kein Bezug zur eigenen Sprache hergestellt werden kann, oder dass den Kindern einfach das sprachliche Verständnis fehlt. Dinge, die man vom Sinn her nicht verstanden hat, merkt man sich sehr schwer oder gar nicht.
Dies liegt häufig weder an einem Mangel an Intelligenz, noch an zu geringer Aufmerksamkeit, auch nicht am zu geringen Lernwillen.

Der Lehrer muss sich dann fragen, ob er den Kindern das Problem anschaulich genug erklärt hat, oder ob er – wie im monolingualen Unterricht für deutschsprachige Kinder – Dinge vorausgesetzt hat, die ein Kind mit anderer Muttersprache gar nicht nachvollziehen kann.
Der Aufbau einer grammatikalischen Übung muss für andersprachige SchülerInnen von Anfang an anders aufgebaut sein.

Sensibilität und Selbstkritik sind für den Unterricht Deutsch als Fremdsprache unerlässlich, sie sind die eigentlichen Schlüssel zum Erfolg.

mit geschätzter Genehmigung der Autorin Lisa Nevyjel